Die Grüne Post, Nr. 8, Seite 6 vom 21. Februar 1932
Unter dem Bild steht:
Stammgut Pantlitz, von Busch und Graben umgeben. Der neue Besitzer mußte sich vor allem eine richtige Zufahrtstraße bauen
Damgarten (Vorpommern),
Mitte Februar
Gestern Abend sprachen sie am Stammtisch davon. Denn vor ein paar Tagen hat's auch in den Blättern gestanden, daß ein französisches Fräulein das pommersche Gut Pantlitz haben will. Pantlitz, 7 Kilometer hinter dem Ackerstädtchen Damgarten gelegen. "Tchö - das versteh ich nöch!" hat ein alter Herr gesagt. Worauf die anderen ihre Grog=Gläser näher an den Weißbart schoben und ihm verteelten, was da in der Zeitung zu lesen gewesen ist. Sie sprachen platt und durcheinander.
Also Großvater, losgegangen ist es, als Gustav Adolf zu uns kam und wir schwedisch wurden. Erst setzte sich auf Gut Pantlitz ein Herr von Dechow und um 1757 bekam Joachim Friedrich von Thun das Besitztum. Dieser "Edle und Große der Krone Schwedens" starb 1776. Sein Testament war ein bißchen komisch. Gut Pantlitz sollte auf ewige Zeiten im Besitz seiner Söhne und der Kinder seiner Söhne bleiben.
An diesen frommen Wunsch knüpfte sich ein seltsamer: seine Söhne hätten das Gut auszuknobeln. Die setzten sich auch hin, spielten einige Runden "Bock und Zippe" oder "Hamburger", und zunächst war Sohn Claus Philipp der Glückliche. Aber auch fleißiges Knobeln schützt schließlich nicht vorm Aussterben, und nunmehr ging Pantlitz auf die verwandten Barone von Mecklenburg über. Der letzte Baron von Mecklenburg starb 1916, seine Schwester bekam die Erbschaft, und 1920 wurde das Gut Pantlitz auf Grund des Reichs=Siedlungs=Gesetzes enteignet. Und jetzt strengt eine junge französische Komtesse, Enkelin der letzten Besitzerin, Klage auf Rückgabe ihres Erbes an - vor dem Internationalen Schiedsgericht in Paris. Sie kann das dort tun, weil ihre Mutter durch Heirat mit dem Marquis de la Rochebriant französische Staatsangehörige geworden ist.
Der alte Herr seufzte tief, als die Freunde zum bösen Ende der Geschichte gekommen waren.
Im düsteren Fichtenhain, nahe an der Pantlitzer Kirche, findet man die Familiengruft der Freiherrn von Mecklenburg. Der letzte männliche Sproß, Hugo von Mecklenburg, starb 1916. Die älteren Einwohner, wie hier einer zu sehen, können noch allerlei von den Baronen erzählen, die nur wenig Verkehr mit ihrer Umwelt pflegten.
So ähnlich, wie's gestern Abend am Stammtisch erzählt wurde hat's in fast allen deutschen Zeitungen gestanden. Aber vielmals Entschuldigung - der Berichterstatter hat mit einer Berichtigungs=Erstattung zu beginnen:
1. es handelt sich nicht um das Gut Pantlitz, sondern um die Herrschaft Pantlitz;
2. es handelt sich nicht um die Herrschaft Pantlitz, sondern nur um zwei ihrer Güter.
Den historischen Teil der Angelegenheit wollen wir beiseite lassen. Die Herren von Thun - im benachbarten Ort Schlemmin haben noch viele Jahre drei Brüder Thun gesessen; einer ist wohl General gewesen -, sie ruhen sanft und hoffentlich auch seelig seit vielen Jahren in der stillen Dorfgruft.
Die Freiherrn von Mecklenburg, welche zuletzt auf Pantlitz gesessen haben, sind mit vielen Fäden verknüpft mit ihrer schwedischen Linie. In Preußen jedenfalls ist der Stammvater Heinrich v. M. gewesen und sein Sohn Hugo, Freiherr von Mecklenburg (geboren 1845, gestorben 1916) übernahm den Besitz. Und dieser Besitz bestand aus vier Gütern: Pantlitz, Ahrenshagen, Todenhagen und Neuenlübke.
Nun ja, Hugo ist Sammler gewesen, aber niemals Landwirt. Achttausend preußische Morgen (solch ein Gebiet ist wohl kaum in einem Tag zu Fuß abzumarschieren . . .) waren in seiner Hand.
Aber schon im Februar waren die Scheunen leer, und seine Gnaden der Herr Baron saßen auch lieber in Berlin, wo ihn zarte Banden fesselten, welche allmählich so eng wurden, dass nach dem Tode des Baron Hugo (1916) ein junger Rechtsanwalt als illegitimer Spross mit in den Kampf um die Erbschaft eintrat.
Aber der Rechtsanwalt schied bald aus dem Rennen aus. Eine Schwester des verstorbenen Barons zog nach Kriegsende mit siebzehn Wagen voller kostbarer Möbel auf Schloss Pantlitz ein. Gebessert war gar nichts. Die alte Dame war völlig ungewohnt der Geschäfte dieser Welt, und ihre unverheiratete Tochter, eigentlich Regentin des Hauses, verband ihre Geschäfts=Unkenntnisse noch mit dem Gegenteil von dem, was man "volkstümlich" oder gar "gütig" nennt. Hugo selig hat sich bei einem Stallbau von 5000 Mark um einen lumpigen Zwanzigmarkschein mit seinem Baumeister entzweit (den er übrigens samt den Handwerkern im Gänsestall übernachten ließ). Hugo zahlte den armen Handwerkern grundsätzlich nur zu Neujahr - aber seine Nachfolgerinnen zahlten sehr bald überhaupt nicht mehr; im Jahre 1925 waren sie total pleite.
Schon fünf Jahre vorher war ihnen von ihrem schlecht bewirtschafteten Riesenbesitz zwei Güter - Todenhagen und Ahrenshagen - durch das Reichssiedlungsgesetz von 1919 enteignet worden. Das ergab sofort einen Prozeß, beim Kammergericht, beim Reichsgericht. Man berief sich auf die schwedische Staatszugehörigkeit, doch beide Gerichte wiesen die Klägerinnen zurück.
Wo einst nur zwei Güter (Ahrenshagen und Todenhagen) inmitten weiter Flächen lagen und mehr schlecht als recht existieren konnten, sind heute 134 Bauernsiedlungen entstanden. Vorn im Bild das kleine "Format", mehr eine Arbeitersiedlung. Links eine der sonst üblichen Bauernsiedlungen mit etwa 50 Morgen Land
Und so begann auf dem enteigneten 4000 Morgen großen Gelände zum ersten Mal ein wirklicher landwirtschaftlicher Betrieb. Denn die hier angesetzten 134 Posener Flüchtlinge gingen mit Schwung an die Arbeit. Jeder hatte etwa 5000 Mark (aus seiner Reichs=Entschädigung) eingezahlt und jeder hatte mit 15 Mark (jetzt 18 Mark) monatliche Rente zu rechnen. Seine Bauernstelle umfasst fünfzig, sechzig oder achtzig Morgen. Und jeder Morgen, der einst nicht mehr als 2,5 Zentner Hafer gebracht hatte, gibt heute 16 Zentner.
Der Anfang auf dem verluderten Boden ist allerdings bitter schwer gewesen und auch der Vorsichtigste hat in den ersten vier Jahren seine 6000 Mark Betriebsschulden auf dem Halse gehabt.
Jedenfalls - wer Mecklenburg und Pommern in einem Zuge durchstreift hat, der bleibt stehen, wenn sein über unendliche Flächen gleitender Blick plötzlich festhackt an einer wohl geordneten Straßen=Reihe mit schlichten Wohnhäusern und rechtwinklig angebauten Holzscheunen. Auf Steinwurf entfernt stehen diese Siedlungen, hinter ihnen rutschen die Felder in den Himmel.
Was die Großbauern in der Nähe sind - sie halten solchen "Kleinbesitz" für völlig lebensunfähig. Er ist lebensfähig, wenn sie arbeiten wie hier: der Knecht fährt und der Bauer lädt den Mist für die Frühjahrsbestellung und der Besucher wird eben am Dung=Haufen am Hof empfangen, kann und muß aufpassen, daß er nicht parfümiert wird.
Das kleine nette Parkhaus hier - das ist "Schloß" Pantlitz, wo bis zum Jahre 1925 die Baronin mit ihrer unverheirateten Tochter gewohnt hat. Sie konnte das Gut nicht halten; es wurde zwangsversteigert und niemand von den Erben hat heute noch ein Recht daran!
Doch kehrt marsch. Zurück ins Jahr 1925. Die mecklenburgischen Damen sind pleite. Nur ihr Stolz nicht. Nämlich als sie einen bürgerlichen Gutsbesitzer um Rat angehen, verweist dieser sie höflich an einen besser informierten Herrn v. X. Die Damen lehnen ihn als "niederen pommerschen Landadel" naserümpfend ab. Und unser Freund nimmt seine Mütze: Wenn der Herr v. X. sch nischt ist - was muss ich da in ihren Augen für ein Plebejer sein. Adieu, meine Damen.
Zwangversteigerung. Das Gut Pantlitz und Gut Neuenlübke übernimmt der Oberamtmann Matthies.
Seine Freude hat er an dem "Schloss". (Man betrachte unser Foto.) Es ist eine noch nie erlebte Flohbude. Wer in ein oberes Zimmer tritt, hat im Nu die Beine voller Flöhe. Man überschwemmt das Zimmer mit Lysol. Am nächsten Tag ist die Decke schwarz - von Flöhen. Erbschaft der Baronessen. Kulturbilder aus feudaler Welt.
Der Oberamtmann - sein Besitz ist völlig ordnungsgemäß und unanfechtbar erworben - muß durch die falschen Gerüchte um Pantlitz einiges er dulden. Seine Freunde von nah und fern uzen ihn: Junge, hol die Koffer vom Boden!
Lachend erklärt der prächtige und nur seinen Arbeiten lebende Landwirt beim Mittagessen: "Ja wissen Sie, ich hatte schon nach Paris telegrafiert wegen der Waden= und Schulternmaße der französischen Komteß. Und gestern Abend haben wir nach altem guten Brauch geknobelt. Meinen Sohn Hans hat's getroffen. Er muß das Fräulein heiraten. Damit Ruhe um Pantlitz wird!"
Mit dem Paragraphen 304 des Vertrags von Versailles ist aber nicht zu spaßen. Er bestimmt gemischte Schiedsgerichte, wo es sich um
"Wiedereinsetzung der Angehörigen der alliierten und assoziierten Staaten in ihre durch den Krieg betroffenen Rechte"
handelt.
Dem Enkeltöchterchen der Mecklenburgerinnen suchen jetzt in Paris zwei französische und ein deutscher Richter das Recht. Man hat sich aus Stettin die alten schwedischen Akten und aus Berlin das Reichssiedlungs=Gesetz verschrieben und gegen den Urteilsspruch gibts keine Berufung.
.Viertausend Morgen nur zu zweihundert Mark gerechnet, Mademoiselle würde einen fetten Happen schlucken, ein kleines Milliönchen ihrer in Frankreich lebenden Familie zuführen.
Wir sind uns wohl in klaren: es geht hier nicht um irgendwelche Liebe zur heimatlichen Scholle (welche die Kleine nie gesehen hat), es geht hier nicht im Sinne des alten Knobel=Grafen um den altererbten Familiensitz.
Es geht um einige flotte Groschen in die freiherrliche Haushaltskasse, die in Cannes zu leicht geworden ist. Erleben wir das zum ersten Mal?
Ernst John